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Testpilot der Datenwelt
Robert Calvert, Pionier von Punk und Techno, lebt elektronisch weiter. Das
Internet denkt manchmal an ihn
Von Ulrich Gutmair
Als "manic depressive hypo-maniac" bezeichnete sich Robert Calvert selbst. Aber
wer, bitte, ist Robert Calvert? Auch für Spezialisten ist das zunächst einmal nur
ein Name an den Rändern popkultureller Geschichtsschreibung, verknüpft mit den
Psychedelikrockern Hawkwind, Relikt einer Ära, von der bloß ein paar
Plateauschuhe geblieben sind, und das zu Recht, oder?
Aber Robert Calvert war mehr als der wegen seiner psychischen Probleme immer
wieder ein- und ausgestiegene Frontmann, Sänger und "resident poet" einer
britischen Band, deren Name heute nur noch von nomadisierenden Hippies und Ravern
hochgehalten wird. Auch wenn, oder vielleicht besser: gerade weil die Free
Festivals der Insel inzwischen eher von Technosoundsystemen als Gitarre
spielenden Psychedelikern dominiert werden.
Captain Lockheed & the Starfighters
Mit seinem World Wide Web Projekt the
spirit of the p/age
http://aural-innovations.com/robertcalvert
tritt der Berliner Knut Gerwers den Beweis an, daß Hawkwind im allgemeinen und
Calvert im besonderen bis heute völlig unterschätzt worden sind:
Hawkwind als frühe musikalische Wegbereiter so unterschiedlicher Entwicklungen
wie Punk und Techno, Calvert als überaus versatiler Künstler, der die
Themen und Herangehensweisen aktueller Technokultur bereits in den 70er
Jahren vorweggenommen hat. Dabei stieß der Videokünstler
Gerwers nur durch Zufall auf das bis heute weitgehend vergessene Universum
Calvert. Anläßlich eines Filmprojekts zum Thema Fliegen entsann er sich
Calverts Musical
Captain Lockheed & the Starfighters. Die LP hatte noch vor dem großen
Medienskandal von Calvert selbst recherchiertes Material zur bundesdeutschen
Starfighter-Affäre mit der tragischen
Bruderschaft der Testpiloten zu einer pynchonesken Soundcollage verknüpft
- featuring Franz Josef Strauß, der in Nazitonfall die "air supremacy
of the Luftwaffe" einklagt.
Von 1997 aus gehört, wurde die alte Platte schnell zum Klickstarter
der "P/age", die inzwischen zum größten existierenden Archiv zu
Leben und
Werk Calverts angewachsen ist und neben den bekannten Hawkwind-Lyrics
auch nie veröffentlichte Gedichte
und Texte
versammelt. "Spirit of the P/Age" orientiert sich weitgehend an der nicht
linearen, hypertextuellen Struktur des WWW, produziert so ein immer weiter
wucherndes biographisches Werk und generiert damit die adäquate Repräsentation
einer multiplen Persönlichkeit. Obwohl das Netzprojekt hohe Zugriffszahlen
vermelden kann, bleibt es für Biograph Gerwers nur eine Arbeitsplattform:
Irgendwann soll sich das Archiv um eine CD-ROM und ein Videoporträt erweitern.
Die Mission: Calvert als Protopunk und Technopionier zu rehabilitieren.
Daß Calvert, der 1945 als
Sohn südafrikanischer Rassisten geboren wurde, immer eine politische
Idee von Popkultur verfolgte, wurde 1973 deutlich. Als Punk noch ein etwas
altmodischer Begriff aus dem Wörterbuch war, hatten Hawkwind die Single
Urban
Guerilla herausgebracht, die sofort für einen Skandal sorgte, von
der BBC aus dem Äther verbannt und von ihrer Firma United Artists trotz
rapide kletternder Verkaufszahlen zurückgezogen wurde: "I'm a street fighting
dancer / I'm society's cancer / So let's not talk of love'n flowers /
And things that don't explode / We've used up all of our magic powers
/ Trying to do it in the road."
Getextet wurde dieser Aufstand im Zeichen des Krebsgeschwürs von Robert
Calvert, der den Abgesang auf die rückwärtsgewandten Strategien der Hippies
damit wohl als erster massenwirksam inszenierte. Als Mitglied der Performancegruppe
Street DaDa Nihilismus und Autor diverser Underground-Magazine entwickelte
er bereits in den 60ern eine Sensibilität für die Implikationen moderner
High-Tech. Fortan thematisierte er immer wieder die Folgen von Genmanipulation,
Robotik und Informationstechnologien aus einer Perspektive, die den Mainstream
als Cyberpunk erst im Lauf der späten 80er erreichen sollte: "Why
can't the world be run by machines?"
Im Jahr von "Urban Guerilla" schlug
Calvert ein Walkman-System vor, mit dem man morgens in der U-Bahn
vorher aufgenommene Informationen abrufen kann. Er sah Kinderzimmer voller
Videospiele
und TV-Geräte mit 50 Satellitenfernsehkanälen voraus und schuf die
technokritischen, zum Teil auf elektronischer Musik basierenden Musicals
The Kid from Silicon Gulch und
Test- Tube Baby of Mine. Ersteres ironisiert den Mythos des Hackers,
als es mit dem Apple II gerade mal den ersten PC zu kaufen gab und vom
Internet noch keine Rede war, während
Test-Tube Conceived sich mit Telekinese, Liebesrobotern und dem Leben
im Cyberspace auseinandersetzt. Zum Theaterstück
umgeschrieben, wird es demnächst in New York zu sehen sein.
Daß Calvert trotz aller Auseinandersetzungen mit den dunklen Seiten
von Technologie und der Welt des Kalten Kriegs einen unschlagbaren Humor
sein eigen nennen konnte, beweisen nicht nur seine Kollaborationen mit
bekannten britischen Satirikern wie der Monty Python Truppe: Silver
Machine, der erste Hit Hawkwinds 1972, bezog sich auf
Alfred Jarrys Artikel über die Konstruktion einer Zeitmaschine. In
Wirklichkeit, so Calvert, beschrieb Jarry unter einem Wust von Terminologie
aus der Physik die exakte Bauanleitung für ein Fahrrad. Als die Nasa in
Folge der Mondlandung plante, "dort Parkplätze und Hamburger-Buden zu
bauen", griff Calvert auf dieses Kapitel von Jarrys "Pataphysik" zurück,
die unter der Ägide französischer Intellektueller längst zur ernstzunehmenden
Wissenschaft geworden war: Mit "Silver Machine" verkaufte er das silberne
Fahrrad seiner Kindheit als Errungenschaft futuristischer Technologie.
Die zunehmende Macht der Medienkonzerne thematisierte Calvert im Booklet
zur 1978er
Hawklords-Platte "25 Years On". Unter dem Slogan "Reality you can
rely on" erzählt dort die fiktive Firma Pan
Transcendental Industries Inc ihre eigene Geschichte, die 1953 mit
dem Plan der Industrialisierung von Religion und der Transformation von
Kultur in die ultimative Ware beginnt. Calvert bezog sich auf den strukturellen
Umbau der Unterhaltungsindustrie, der u. a. mit den ersten Videoclips
der New Wave begann und immer neue Höhepunkte erreicht - etwa mit Videogames
wie "Wipe out", dessen Soundtrack das gesamte Spektrum kontemporärer britischer
Popkultur abdeckt. Die Rhetorik besagter Firmenhistorie bedient sich darüber
hinaus ziemlich präzise der quasi-religiösen Versatzstücke, mit denen
Kalifornien heute dem Rest der Welt die Errungenschaften der "virtuellen
Realität" verkauft: "Our true ambition is to create a heaven totally fabricated
by man. To live logically inside fantasy. Today, on earth techno psychic
batteries are the key to a scale of synthetic experience representing
a free fall into the space of divine imagination."
Vom Herzinfarkt zur Science-fiction
Aber nicht nur seine
literarische Produktion bewies Sensibilität für die Ereignisse von
morgen: Calvert selbst beschrieb seinen Arbeitsprozeß als eine Transformation
von Wahrnehmung in Musik, deren Ergebnis Science-fiction sei. Eben das
sei die einzig valide Form, in der man die Gegenwart beschreiben könne.
In den 70ern setzten
Hawkwind in diesem Sinn neben elektronischen Sounds vier Baßtrommeln
ein, um einen massiven, repetitiven Tribal Beat zu generieren, während
ein gigantisches Stroboskop das Publikum aus dem Raum-Zeit-Kontinuum des
Alltags riß. Dessen Intensität wurde durch "ein Paranoia induzierendes
Blitzlicht verdoppelt, das in Abständen von ungefähr zehn Minuten kurzzeitiges
Erblinden verursacht", wie ein Presseinfo
ihrer Plattenfirma damals begeistert erklärte. Ergänzt wurde die Lightshow
durch zwei kleinere Strobos, die abwechselnd grün und rot vor sich hin
blinkten. Diese Techniken werden noch heute von mobilen Technosoundsystemen
eingesetzt und erklären vielleicht Hawkwinds ungebrochene Popularität
in der Hardcore-Fraktion britischer Technokids.
Robert Calvert erlebte weder die Renaissance des monotonen Beats unter
freiem Himmel noch die Dominanz von Cyberpunk auf den Oberflächen von
Pop. Er starb
1988 an Herzversagen. Daß er jetzt in den elektronischen Archiven des
Internet solange weiterlebt, bis der Strom ausgeht, ist mehr als angemessen.
TAZ Nr. 5376 vom 07.11.1997
Seite 15 Kultur 262 Zeilen
TAZ-Bericht Ulrich Gutmair
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